Freitag, 21. September 2007

Mädchen im koedukative Schulsystem

Text nach Monika M. Metzner, „Ich muss zugeben, dass ich den Mädchen weniger Zeit widme – Koedukation in der Praxis/Nur zögerlich denken Eltern und Lehrer in Schleswig-Holstein um“, Frankfurt Rundschau 12. April. 1990.


Der achtjährige Thorben geht in die dritte Klasse einer Grundschule in Schleswig-Holstein. Er liest in seinem Sprachbuch einen Text, um die Wortfamilie „fahren“ zu üben: „Anja schlägt vor, eine Autofahrt zu unternehmen, Mama fragt: ‚Wer fährt?’ Papa meint: ‚Ich möchte nicht, als Fernfahrer fahre ich jeden Tag.’ – ‚Gut’, antwortet Mama, ‚dann bin ich Fahrer und du Beifahrer. Aber auf der Rückfahrt fährst bitte du. Abends ist mir das zu gefährlich...’

Für Thorbens Mutter ist das ein Beispiel von Frauen-Diskriminierung in einem deutschen Schulbuch. Sie sagt: „Wenn’s schwierig wird, ist der Mann gefordert, weil die Frau zu schwächlich oder zu ängstlich ist, um bei Dunkelheit Auto zu fahren. Wie soll ich meinen Kindern klarmachen, dass ich als Frau schwierige Situationen ebenso lösen kann wie ihr Vater, wenn sie in der Schule Beispiele vorgesetzt bekommen?“

Solche Beispiele zeigen nach Auffassung der Kultusministerin von Schleswig-Holstein Eva Rühmkorf, dass an den deutschen Schulen den Mädchen noch keine wirkliche Chancengleichheit geboten wird. Sie bemüht sich deshalb mit viel Energie, die Bildungschancen von Mädchen zu verbessern. Deshalb denkt sie lautstark in vielen Vorträgen und Diskussionen mit Lehrern und Eltern über das Prinzip der Koedukation nach, den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen in der Schule. Der Ministerin geht es dabei nich um das Ziel, das koedukative Schulsystem, das in den 60er Jahren überall in der Bundesrepublik eingeführt worden ist, wieder abzuschaffen; sie sagt: „Mir geht es nicht darum, Mädchen von Jungen oder Jungen von Mädchen fernzuhalten. Ich will ihnen vielmehr in der Schule optimale Chancen geben.“ Die Ministerin hat deshalb das schleswig-holsteinische Schulgesetz ergänzen lassen; dort stand bisher nur der Satz: „Jungen und Mädchen werden in der Regel gemeinsam erzogen und unterrichtet.“ Jetzt folgt der Nachsatz: „Sofern es aud pädagogischen Gründen sinnvoll erscheint, kann in einzelnen Fächern auch getrennt unterrichtet werden.“

Hintergrund der Gesetzesänderung sind die folgenden bekannten Tatsachen: Niemand bestreitet, dass der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen viele Vorteile bietet. Aber in einem wichtigen Punkt sind die Erwartungen nicht erfüllt worden: obwohl heute gleich viele Jungen und Mädchen „weiterführende“ Schulen besuchen, also Realschule und Gymnasium, obwohl Mädchensogar tendenziell bessere Schulnoten haben als Jungen und weniger oft eine Klasse wiederholen müssen, sind ihre späteren beruflichen Chancen deutlich schlecter als die der Jungen. In gut bezahlten Positionen des Arbeitsmarkts, in leitenden Funktionen der Wirtschaft, der Wissenschaft oder des öffentlichen Lebens sind Frauen stark unterrepräsentiert.

Wo bleiben also die begabten Mädchen? In den 70er Jahren wurden in Europa und in den USA Untersuchungen durchgeführt, in denen festgestellt wurde, dass durch die übliche Art des koedukativen Unterrichts die Mädchen benachteiligt werden: Mädchen lassen sich oft von den dominieren wollenden Jungen an den Rand drängen; männliche wie weibliche Lehrkräfte neigen dazu, lauten und sogar aggressiven, undisziplinierten Jungen weit mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen als den anpassungsbereiteren Mädchen; und Mädchen scheuen davor zurück, die von Jungen eindeutig dominierten Fächer Physik, Chemie, Informatik zu belegen. Im weiteren beruflichen Weg sind es dann vor allem die Frauen, die sich entscheiden müssen: Beruf oder Familie. Und es fehlen weibliche Vorbilder: Schulleiterinnen, Direktorinnen, Frauen mit Erfolg.

Ministerin Rühmkorf argumentiert: „So wie es immer noch möglich und teilweise sinnvoll ist, im Schulfach Sport nach Geschlechtern getrennt zu unterrichten, so soll es auch wieder Schulen geben, in denen die Fächer Physik, Chemie, Informatik und Teknik, aber auch Hauswirtschaft getrennt unterrichtet werden können. In den naturwissenschaftlich-technischen Fächern soll den Mädchen Gelegenheit gegeben werden, den Vorsprung aufzuholen, den Jungen durch ihre besonderen Interessen haben; bestimmt lassen sich auch neue, weiblich bestimmte Formen der Unterrichtsmethodik in diesen Fächern entwickeln. Und die Jungen könnten im Fach Hauswirtschaft ihre erkennbaren sozialen Defizite abbauen.

Die Ministerin fordert auch, dass die Schulbücher und die Lehrpläne überarbeitet werden und dass die Ausbildung der Lehrer so verändert wird, dass Formen der verdeckten Diskriminierung verschwinden.

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